Maximilian Schell

Aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung «Hanns Kunitzberger. Die Orte der Bilder»


«... Sie haben, Herr Direktor Schröder, zwei Namen erwähnt: Graubner und Rothko. Ich finde es großartig, dass Sie Hanns in diese Kategorie stellen. Gerne würde ich noch einen dazu stellen: Josef Albers. Alle Drei habe ich gekannt. Graubner lebt ja Gott sei dank noch. Rothko habe ich kennen gelernt wenige Monate vor seinem Tod. Und Albers war eigentlich mein geistiger Vater – ich werde dann auch ganz kurz etwas lesen, was Albers geschrieben hat und was sehr gut zu Hanns passt.

Ich finde das wunderschön, was Sie von der Stille gesagt haben. Ich dachte eigentlich zuerst, das wäre das Entscheidende: dass er ein 'Maler der Stille' ist. Ist er aber nicht. Denn hinter dieser Stille sind einige Explosionen verborgen. Ich habe sehr viel über die Stille nachgedacht. Ich bin ja nicht nur Schauspieler, sondern auch Regisseur und habe "Glaube Liebe Hoffnung" von Horváth in Moskau inszeniert und dann auch "Geschichten aus dem Wiener Wald" in London – und Horváth hat ja eine eigene Gebrauchsanweisung geschrieben in vier Fassungen, wo er Anleitung gibt, wie man seine Stücke verstehen soll – und da kam er besonders auf die Stille zu sprechen. Ich habe damals Schnittke, den russischen Komponisten, gewinnen wollen, um die Musik zu "Glaube Liebe Hoffnung" zu schreiben. Ich habe ihm gesagt: "Was mich so fasziniert, ist die Stille bei Horváth." Da hat er gesagt: "Wissen Sie, das ist mein Traum, einmal eine Stille komponieren zu können." – Jetzt sind wir schon sehr nahe bei Hanns – denn natürlich ist es fast absurd, dass man eine Stille komponieren kann, aber es ist wie das Wort Nichts. Sobald man es ausspricht, ist nicht mehr Nichts, sondern es ist bereits – ein Nichts –, also etwas Fassbares, etwas Deutbares. Ich habe gefragt: "Welche Stille meinen Sie denn?" Da hat er mir ein ganz außergewöhnliches Beispiel gegeben, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Nämlich im Krieg: die Menschen, die in einem Schützengraben liegen und einen Artillerieangriff überstehen. Dann tritt eine plötzliche Stille ein. Nämlich die, wenn die Kanonen nachgeladen werden. Dann beginnt wieder die neue Artillerie-attacke. Und er hat gesagt: "Diese Stille, die möchte ich gerne in der Musik darstellen." Und ich kann ihn verstehen. Denn das ist eine größere Stille, als wir sie meistens haben. In dieser Stille denken alle, die da liegen, an Tod, an Freunde, an Glück, an Liebe –. Das kann man sicher in der Musik wunderbar darstellen. Claudel hat ja ein unvergessliches Wort geschrieben: er bewundere so das große Schweigen, das die Maler um uns herum aufgehängt haben.
Die Stille von Albers oder von Rothko, oder auch von Graubner oder von Hanns, ist etwas, das einen überwältigt. Ich war gestern hier – das waren ganz andere Bilder, als ob er sie in der Nacht ausgewechselt hätte – sie sind viel heller bei Tageslicht und erzählen eine ganz andere Geschichte. ...»

Maximilian Schell, Mai 2006.
Aus dem Band «Hanns Kunitzberger. Die Orte der Bilder. Malerei.»

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