Hanns Kunitzberger

abbild.


«... Das Sichtbare ist nie der Gegenstand selbst, sondern immer nur seine Grenze.
Es ist die Grenze des sichtbaren Mangels, des Mangels an Ähnlichkeit. Eine Begrenzung durch ein bestimmtes Fehlen, durch den Fehler, durch ein Nichtvorhandensein einer übereinstimmenden Wahrheit. Einer Wahrheit, die wie die Ähnlichkeit eine für sich selbst nicht existierende Form ist und immer nur durch ihre Umgebung und nur an ihrer Grenze sichtbar wird.
Erst die Beschreibung dieser Grenze erzeugt unsere Wirklichkeit. Die Beschreibung von etwas, das eigentlich für sich selbst nicht vorhanden ist. Es könnte auch lauten: erst die Darstellung eines nicht wirklich existierenden Gegenstandes ist es, der unsere gegenständliche Wirklichkeit erzeugt. Aber die Absicht um Ähnlichkeit birgt in sich den gegenständlichen Verlust unserer Bilder und ist die Ursache ihres Verschwindens. Durch ein Beschreiben, das immer ein Verzögern, ein gewagtes Anhalten der Zeit vor dem Verlust der Bilder ist, und das der Stille gleicht, die wir beenden, in dem Moment, in dem wir die Stille wahrnehmen.

Aber ist ein Abbild ohne Ähnlichkeit wahrer als der wahrgenommene Gegenstand?

Ein Abbild ohne Ähnlichkeit ist nicht ein unähnliches Bild. Da Unähnlichkeit die Ähnlichkeit voraussetzt, beschreibt diese Frage eine Ähnlichkeit, die nicht vorhanden ist, eine Ähnlichkeit, die durch ihre eigene fortwährende Beschreibung gänzlich verschwunden ist. Durch eine Beschreibung, die immer auch die Beschreibung eines Verlustes ist.

Doch der Verlust der Ähnlichkeit ist nicht die Formlosigkeit.

Der Verlust der Ähnlichkeit ist die Enttäuschung.

Und die Enttäuschung ist der Aufenthalt an der Grenze des Nichtwissens. An einer Grenze, an der unsere Ordnung durch Ähnlichkeit in eine ungeordnete Wahrnehmung, in nicht verwirklichtes Wissen, in eine nichtsprachliche Erinnerung übergeht.

Es ist der Raum zwischen den Bildern.

An dieser Grenze ist ein Abbild ohne Ähnlichkeit ein Bild ohne Sprachlichkeit. Ein nichtsprachliches Bild. Ein Bild, mit der Möglichkeit einer gemeinsamen Betrachtung ohne sprachliche Notwendigkeit, einer Stille, durch das Nichtvorhandensein der Notwendigkeit nach Beschreibung. ...»

Hanns Kunitzberger, aus dem Text «abbild.» 2005.
Aus dem Band «Hanns Kunitzberger. Die Orte der Bilder. Malerei.»

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