László F. Földényi

Aus «Spirituelle Räume. Über die Malerei von Hanns Kunitzberger»


«... Hanns Kunitzbergers Gemälde wecken im Betrachter ein Gefühl von Feierlichkeit. Bei seiner Ausstellung im Wiener Künstlerhaus war ich sogar Augen- und Ohrenzeuge, wie die Besucher beim Eintreten sogleich ihre Stimmen senkten. Als hätten sie eine Kirche betreten. Obwohl nichts in Kunitzbergers Bildern auf Religion verweist. Genauer gesagt, auf die Kirche oder auf irgendeine Konfession. Ich wage sogar zu behaupten, dass seine Bilder – von ein, zwei schwachen, in sehr übertragenem Sinn verwendeten Andeutungen abgesehen – auf nichts verweisen. Und wenn doch auf etwas, dann ausschließlich auf sich selbst. (...)

Die Andacht, die Kunitzbergers Bilder ausstrahlen, ist kein Gegenstand und kein Motiv, sondern etwas, was diesen vorausgeht. Wo ist sie also zu finden? Irgendwo zwischen dem Bild und seinem Betrachter. In jenem Kraftfeld, das das Bild mit dem Betrachter, der vor ihm steht und es ansieht, verbindet und beide mit einer Art Hülle umgibt. Hanns Kunitzbergers Ausstellung lässt dem Betrachter die seltsame Erfahrung zuteil werden, dass das Bild seine "Fortsetzung" ist, so wie er seinerseits, so lange er sich im Ausstellungsraum befindet, ein organischer Teil der Bilder, deren lebendige Ergänzung ist. Während er die Gemälde betrachtet, betrachten auch sie ihn.

Das ist in meinen Augen die charakteristischste Eigenschaft von Hanns Kunitzbergers Malerei. Sie erschafft eine beispiellos enge Symbiose zwischen dem Betrachter und dem Gemälde, was wiederum mit einer anderen Art Symbiose eng zusammenhängt: mit der Symbiose von Bild und Kult, deren Entstehung eine der fundamentalen Bestrebungen von Kunitzbergers Malerei ist. Aus dieser doppelten Symbiose nährt sich die Feierlichkeit beziehungsweise Andacht. Obwohl es sich bei seinen Bildern ohne jeden Zweifel um Malerei, also um Kunst handelt, schafft es Kunitzberger dennoch, dass sie der Betrachter nicht als Kunst wahrnimmt. Und auf diese Weise weckt er nicht nur Andacht, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Grenzen und Voraussetzungen der Kunst selbst. Und darüber hinaus lenkt er auch das Sehen in neue Bahnen. Die große Lehre aus seinen Ausstellungen: er bringt den Betrachter dazu, zu sehen und zu betrachten – nicht etwas, sondern das Sehen selbst. Das Sehen zu sehen war nicht nureine der großen Zielsetzungen der Malerei, sondern auch der Mystik. Malerische Mystik, so würde ich Kunitzbergers Malerei bezeichnen, wenn ich nicht fürchten müsste, seine Kunst damit allzusehr einzugrenzen.

Kunitzberger ist natürlich kein Philosoph des Sehens und auch kein Mystiker, sondern ein Vollblutmaler. Als Maler lenkt er das Interesse auf die Grundlagen der Malerei selbst, wodurch seine Bilder nicht der Abdruck von etwas (der gegenständlichen Außenwelt), sondern das Abbild der Bildhaftigkeit selbst sind. ...»

László F. Földényi, Essayist und Literaturhistoriker, 2007.
Aus dem Band «Hanns Kunitzberger. Die Orte der Bilder. Malerei.»


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