Guido Faßbender

Zur Malerei von Hanns Kunitzberger

Eine innere Monumentalität.
Die Dialektik zwischen Abwesenheit und Anwesenheit.
Es gibt so viele Arten der Stille –
Nicht die Bilder sind still, man selbst wird still vor den Bildern.

Erst irrt der Blick nach Halt suchend durch das Bild, dann fast zärtlich streift er hindurch, lässt sich wie auf Wellen getragen gleiten – und man taucht ein in diese sich öffnende Welt des Bildes. Als wäre in den Bildern etwas Kostbares gespeichert, das sich nur allmählich entfaltet, dem man versucht, auf die Spur zu kommen, das sich einem immer wieder entzieht und das, wie bei Kafka, einem am nächsten ist, wenn man gerade aufgibt, ihm hinterherzujagen. Dann ist es da und auf dieser Distanz hält es uns.

«Nach einem Verstehen der Bilder zu suchen, kann als Irrtum gelten. Viele der Orte der Bilder befinden sich auf dem Weg zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen.»
(Hanns Kunitzberger)

Was ist der ideale Ort für die Bilder von Hanns Kunitzberger? Gibt es den überhaupt?
Oder ist nicht jeder Ort auf seine Weise geeignet? Passen sich die Bilder dem Ort an?
Oder umgekehrt? Passt sich der Betrachter den Bildern an?
Man kann sagen, die Bilder von Hanns Kunitzberger sind auf präzise Weise unzeitgemäß. Nichts ist konzeptuell aufgeladen, keine ironische Brechung, die das Sichtbare als Konstruktion enttarnt und den Betrachter genüsslich ins Leere laufen und an den Klippen seiner eigenen Erwartungshaltung zerschellen lässt, keine kritische Hinterfragung der Funktion von Kunst und Bild und Raum und Malerei in der Informations- und Mediengesellschaft am Beginn des dritten Jahrtausends, keine soziale lnteraktion mit dem Rezipienten – nichts verweigert sich, löst auf, klagt an, beschwert oder lehnt sich kühl zurück und lässt die anderen mal machen.

Die Malerei von Hanns Kunitzberger ist ernst gemeint. Und das vermittelt sich schlagartig. Man weiß es sofort – oder von Weitem ahnt man es erst nur, und dann steht man wie gebannt vor diesen Bildern und ertappt sich dabei, über etwas zu staunen, dass man heutzutage höchstens noch aus der Wahrnehmung monumentaler Naturereignisse kennt. Oder von ganz fremden fernen Orten, denen man sich ausliefert und wo die Erfahrung ins Leere greift. Wenn es diese Orte überhaupt noch gibt und man nicht auch dort doch wieder nur denkt: das sieht ja aus wie in «Der Himmel über der Wüste», als John Malkovich und Debra Winger auf einen Berg am Rande der Wüste radeln und er zu ihr sagt: «Dieses Land wollte ich Dir zeigen!» Aber man erwartet dies eben nicht mehr von zeitgenössischer Kunst. Solche tiefen und ungebrochen feierlichen Momente reiner Wahrnehmung kauft man der Kunst heutzutage höchstens noch als theoretisches Konzept ab. Vielleicht kann man eine vergleichbare Haltung noch bei den monumentalen Wahrnehmungsinszenierungen von Olafur Eliasson finden. Der Malerei traut man dies schlicht nicht mehr zu.

Meine erste Begegnung mit der Malerei von Hanns Kunitzberger war am 20. 05. 2011, ein Freitagnachmittag in der Meinekestraße in Charlottenburg, die letzte Station unseres Ateliertages, den ich mit meinen Kollegen monatlich mache, um Künstler, die uns aufgefallen sind, näher kennenzulernen. Vorangegangen war viel Kunst, viele Ideen, Konzepte, Theorien, Fragen, Antworten, Kaffee, Tee und eine kristallklare, alle Körper- und Geisteskräfte auslaugende Mai-Hitze. Und wir kamen in das Atelier von Hanns Kunitzberger, wir sahen seine Bilder und plötzlich wurde es still, die Hitze existierte nicht mehr, man war plötzlich an einem Ort, der einen alle vorherigen Fragen und Probleme vergessen ließ.

Man will sich als Kunsthistoriker natürlich immer in erster Linie an künstlerische Vorbilder erinnert fühlen und so scannt man seine Erinnerung nach vergleichbaren künstlerischen Positionen und stößt dabei vielleicht auf Rothko, Graubner oder – für mich vielleicht noch am nahesten – die späten Himmel von Turner. Dieses Suchen nach Vergleichspositionen ist aber ein nachträglicher Prozess kunsthistorischer Verortung und kein Ergebnis der direkten Anschauung.

Denn das Erschütternde und zugleich Großartige an den Bildern von Hanns Kunitzberger ist, dass die Wahrnehmung auf nichts mehr zurückgreifen kann, was sie schon kennt. Plötzlich sieht man sich dieser Farbwelt ausgeliefert, der man nicht mehr entkommt. Die scheinbar lebendig wird, sich selbst verzehrt, ausdehnt, zusammenzieht, Dinge in Erscheinung treten und wieder verschwinden lässt wie eine Fata Morgana – in jedem Fall aber atmet, pulsiert. Und man dreht sich um, schaut kurz in eine andere Richtung, schon hat sich das Bild verändert. Es wandelt sich mit den Lichtverhältnissen, aber auch mit der eigenen Aufmerksamkeit, die man dem Bild entgegenbringt. Schaut man sehr forschend und intensiv fragend, verschließt es Sich. Gibt man auf, will schon fast wieder wegschauen, weil man keinen Halt, keinen Anhaltspunkt hat und findet – erscheint es plötzlich. Und so bringen die Bilder einem das Sehen bei. Das Sehen in Bewegung. Die Verweigerung des Erkennens. Bilder sind Prozesse.

Guido Faßbender, Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, 2013

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