Wolfgang Drechsler

Aus dem Vorwort «Wider den schnellen Blick»


«... Die Entscheidung "Bildnisse" zu malen, hat Hanns Kunitzberger bewußt getroffen. Das "Abbild" bedeutet für ihn "eine Möglichkeit durch die alles andere unmöglich wird." Konzeptioneller Ausgangspunkt dieser "Bildnisse" sei aber nicht ein konkretes Gegenüber – Kunitzberger ist nicht interessiert am individuellen Porträt – , sondern der Topos der frontalen Viertelfigur, wie ihn die Kunstgeschichte seit Jahrhunderten kennt. Auch die gemalten Rahmen, die bei einigen dieser Bilder die Büsten auf der Bildfläche umfangen, wie auch die 'Schatten', die manche der "Bildnisse" horizontal teilen und sich gleichsam einer außerhalb des Bildes befindlichen Lichtquelle verdanken, unterstreichen diesen Ausgangspunkt. Die 'Bildnisse' sind von ihrer Grundlage her Bilder von Bildern. Diese Beschränkung auf ein Sujet und noch weiter auf einen Typus dieses Sujets – jedenfalls für einige Jahre und eine größere Werkgruppe – erlauben ihm eine Konzentration auf andere Aspekte der Malerei. Und Malerei sei für ihn vor allem "eine Beschäftigung mit Wahrnehmungsvorgängen, konkret mit dem Sehen." Sich auf Erkenntnisse der Wissenschaft berufend, "daß jede Sicht der Dinge zu einem wesentlichen Anteil durch die jeweilige Disposition und die daraus folgende geistige Projektion des Betrachters erzeugt werde", folgert Kunitzberger: "Deshalb ist in der Malerei ein Gegenstand objektiv nie wirklich dargestellt und nur im Betrachter in vollständiger Gestalt vorhanden." Dies gelte für jede Stilrichtung der Malerei.

Diese Überlegungen können auch das Verständnis einer weiteren Aussage Kunitzbergers - Malerei bedeute für ihn vor allem, "jede Sekunde eine Entscheidung zu treffen" - erleichtern. Durch den langsamen Einsatz der Farbe, durch immer wieder intensives Schauen entwickeln sich auf der Leinwand - "im Gewebe", wie Kunitzberger es formuliert - Details: Stirn, Nase, Backenknochen, geschlossene Augenlider. Die einmal getroffene Entscheidung für den Topos 'Bildnis' ermögliche ihm dabei klare Erkenntnisse. Wie ein Naturwissenschaftler, der eine Versuchsreihe aufbaut, um in der Theorie Entwickeltes in der Praxis zu beweisen, könne auch er nur das finden, nach dem er suche. Dabei gehe es ihm nicht um die Findung einer eindeutigen, schnell lesbaren Physiognomie, sondern vielmehr um die Grenze zwischen Dasein und Nichtdasein. Ihn interessiere das Halbdunkel und der Moment, in dem es völlig unklar ist, ob eine Figur in dieses zurücktritt oder aus ihm hervorkommt. (...)

Kunitzberger verweigert den schnellen Blick, er opponiert gegen die Gegebenheit der modernen Medienwelt, die nur dem Lauten, dem Überdeutlichen erlauben, wahrgenommen zu werden. Der Bilderflut, die sich aus dem Fernseher, aus dem Computer, von den Plakatwänden usw. über uns ergießt, stellt er seine 'stillen' Bilder entgegen. ...»

Wolfgang Drechsler, Sammlungsleiter des Museums moderner Kunst MUMOK Wien. 1999.
Aus dem Band «Hanns Kunitzberger. Bildnisse. Malerei.»

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